literature

Blindes Vertrauen

Deviation Actions

Kite-7's avatar
By
Published:
523 Views

Literature Text

Die Erkenntnis lastete bleischwer auf ihr. Unmöglich konnte sie es alleine im Kampf mit dem Wächter aufnehmen, doch ich hatte nicht die Macht ihr beiseite zu stehen. Alles was ich konnte, war zuzusehen, wie diese Kreatur mit ihren seitlich am Bärenkopf hervorstehenden Hörnern tiefe Furchen in die steinernen Treppenstufen zog, während die junge Elfe sich mit zusammengepressten Lippen an das dritte Horn klammerte, das dem Adumbratos aus der Stirn wuchs. Die milchig weißen Augen starrten blind durch sie hindurch, doch die restlichen Sinne des Wächters waren umso geschärfter. Grollend warf er den Kopf von der einen zur anderen Seite. Mit einem gellenden Schrei verlor Attinka den Halt, stürzte zwischen den Hörnern hindurch und polterte die Treppenstufen hinab. Sofort war sie wieder auf den Beinen. Ihre grün funkelnden Augen blitzten trotzig hinauf zu dem knurrenden Wesen. Blut tropfte von einer Wunde an ihrer Schläfe hinab in den Staub. In Gedankenschnelle war ich an ihrer Seite.
„Es ist also wahr?“, fragte Attinka schwer atmend und musterte mich mit angestrengt hin und her zuckenden Pupillen. Es fiel der Elfe schwer in meiner nebelhaften Gestalt ein Gesicht auszumachen. Der Wind, der durch die Wipfel des Heiligen Waldes streifte, machte es mir nicht unbedingt leichter, meine menschliche Gestalt aufrechtzuerhalten.
„Vertrau mir“, bat ich sie und sah die Zweifel in ihr wachsen. Noch zögerte die abstruse Kreuzung aus Bär und Stier und stampfte vor dem Tempeleingang auf und ab.
Attinka schluckte schwer und tastete nach ihrem Messer. Seine Klinge glänzte wie von einem eigenen Licht. Sie blickte auf den Stahl, fuhr mit den schlanken Fingern über den mit Schriftzeichen übersäten Griff und nickte dann energisch. Erleichtert seufzte ich.
„Weil du es bist“, bemerkte sie und versuchte ihre Unsicherheit mit einem schiefen Grinsen zu überspielen. Sie schob das Messer zurück in ihren Gürtel und schloss die Augen.
Blind fanden ihre zarten Füße den Weg hinauf. Obwohl der Wächter brüllte und feine Speicheltropfen auf ihr Gesicht spritzten, ging sie unbeirrt weiter die Treppen hinauf. Stufe für Stufe schritt sie hinauf. Ich achtete auf ihren Weg und ihre nervös zuckenden Augenlider. Sie durfte nicht alles zerstören, indem sie im letzten Augenblick versagte und ihre Augen öffnete. Doch wir hatten Glück. Attinka hatte Vertrauen. Als sie über die Schwelle in das Tempelinnere trat, fuhr sie herum und blickte nach draußen.

Der Wächter war verschwunden. Erleichtert atmete sie aus. Die Anspannung wich von ihr und sie erinnerte sich, weshalb wir an diesen verfluchten Ort gekommen waren. Fasziniert lief sie an den Wänden entlang und betrachtete die steinernen Fratzen, Muster und Reliefs. Strahlend wandte sie sich zu mir um und strich dabei mit den Fingerkuppen über die steinernen Schuppen eines Echsenwesens, dessen Gesicht dem einer Katze ähnelte. Fast konnte man die feinen Schnurr- und Tasthaare erkennen. Attinka lief eilig zu einer der Säulen und umkreiste sie.
„Das ist so wunderschön!“, wisperte sie und zuckte schuldbewusst zusammen. „Das war nicht sehr feinfühlig, nicht wahr?“ Es fiel ihr sichtlich schwer, sich von all den magischen Tieren im Stein abzuwenden und sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Konnte ich es ihr verübeln? Ich lächelte milde. Sie war wie ein Kind, so lebendig und interessiert an allem, was sie noch nicht kannte. Gerne hätte ich ihr mehr Zeit geschenkt, um sich umzusehen und all die Tiere zu erkunden, nach deren Existenz sie sich sehnte. Aber stattdessen musste ich sie sanft zur Eile antreiben. Fast sofort trat der Ausdruck von ernster Gewissenhaftigkeit zurück in ihr Gesicht und ihr Blick wanderte über den Boden, der von feinen Rillen durchzogen war, welche ein verschlungenes Muster bildeten, noch immer dunkel verfärbt, wo sich das Blut in den Stein gefressen hatte. Sie folgte den Linien, als lese sie daraus den Weg zu dem so lange gesuchten Ziel.
Vor der großen Steinplatte in der Mitte des Tempels endete die Suche. Staunend betrachtete sie das steinerne Wesen, dessen Leib sich um den Opferstein gewunden hatte und für die Ewigkeit fest damit verbunden war.

„Es ist ein Wurm, gebunden an die Erde, der er entstiegen ist. Ein am Boden durch den Schlamm kriechendes Schattenwesen, das niemals in der Lage sein wird zu fliegen. Das ist die letzte Gelegenheit, Attinka. Noch kannst du umkehren!“

Strahlend weiß blitzten ihre Zähne zwischen den zu einem breiten Grinsen verzogenen Lippen hervor. „Sieh genauer hin! Diese Klauen, so scharf und tödlich wie die eines Tigers, der Leib einer Schlange, die Hörner eines stolzen Hirsches und die Schuppen eines Fisches, alles vereint in einer riesigen Kreatur!“, sagte Attinka mit sanfter Stimme. „Da sind keine Flügel, aber sobald ich von deinem Blut gekostet habe, frage ich die Vögel wie es ist zu fliegen“, versprach sie und streichelte die steinernen Nüstern des Lindwurms, als sei es ein altbekannter Freund.

Mein Herz tat, was meinem Körper verwehrt war: Es lächelte. „Lass uns beginnen.“

Attinka zog ihre Klinge hervor, verbeugte sich vor dem großen steinernen Drachenkopf und setzte die Spitze zwischen den beiden Hörnern in der Mitte der Stirn an. Vorsichtig bohrte sie ein Loch in den Stein, als sei er aus weicher Butter. Das eigene Licht der Klinge flackerte leicht, doch es hielt dem dunklen Zauber des Tempels stand.
Leise begann die Elfe ihre Zauberworte zu singen, sammelte mit ihrer Stimme die Magie, die sie brauchte und entließ sie mit einem letzten, klar und deutlich gesprochenen Wort: Rastejarco. Meinem Namen.

Ein leichtes Beben erschütterte den Tempel, und für einen Moment schien die Dunkelheit der Schatten tiefer und schwärzer zu werden, als wollte sie sich bereit machen, die Eindringlinge aus dem Tempel zu vertreiben, ehe das Unglück geschah. Plötzlich zog es an mir und riss meinen geisterhaften Leib davon. Im nächsten Augenblick fühlte ich ein leichtes Vibrieren. Es sirrte in meinen Ohren und Wärme schoss durch meine noch tauben Glieder. Ich riss die Augen auf und starrte Attinka zum ersten Mal tatsächlich in die ihren. Die junge Elfe hatte es geschafft. Sie hatte den toten Stein in einen lebendigen Leib zurückverwandelt. Das Gefühl kehrte mit meinem Geist zurück in den so lang verlassenen Körper. Freudig aufgeregt fauchte ich. Meine Kehle war trocken und fühlte sich an, als hätte ich meinen Durst mit Sand zu stillen versucht.
Doch ich fühlte wieder! Ich war wieder! Ich lebte. Ich hatte dank der jungen Elfe mein Leben zurück!
Fasziniert sah sie meiner Verwandlung zu, wie aus dem steinernen Element ein mächtiger Lindwurm wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde tauschten wir dankbare und liebevolle Blicke aus. Dann schüttelte ich mich, um endgültig meine Freiheit zurückzuerlangen.
Der letzte Teil meines Körpers, mein in einem schartigen Dreieck endender Drachenschwanz, löste sich von der Wand des Opfersteins. Langsam verschwand auch die graue Blässe, die sich wie Staub auf meine Glieder gelegt hatte.
Im Schein des einfallenden Mondlichts schimmerten meine Schuppen in allen Farben des Regenbogens. Im selben Augenblick, in dem ich meine Freiheit wiedererlangt hatte, entfuhr Attinka ein heiserer Schrei. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf ihre weit ausgestreckten Arme. Die weiche Elfenhaut zog sich zusammen und verfärbte sich aschgrau.

„Du hast mich belogen!“, schrie sie mich an. Angst und Verzweiflung lagen in ihrer Stimme. Es tat mir leid, die junge Elfe so zu sehen, doch es war ihre Entscheidung gewesen. Sie hatte sich so sehr nach der Gabe, mit Tieren zu sprechen gesehnt, die sie durch mein Blut hätte erlangen können. Hätte es auch nur die geringste Chance gegeben - ich hätte sie ihr gegönnt. Nun verwandelte sich ihr zitternder, warmer Körper zu starrem, kaltem Stein, während ich meine alte Gestalt und Kraft zurückerlangte.
Ein letztes Mal blickte ich zurück. Attinkas Stärke lag in ihrem unbeugsamen Stolz. Sie stand noch immer aufrecht. Vielleicht waren ihre Beine auch schon vollkommen erstarrt, doch ich wusste aus eigener Erfahrung, wie schmerzhaft sich der Körper zusammenzog, wie die Gedärme sich wanden und alles in einem sich dagegen wehrte zu Stein zu werden. Attinka trug ihr Schicksal mit bitterer Würde. Sie ging nicht in die Knie. Ich kam nicht umhin, sie für ihre Lebenskraft zu bewundern.

Ein frischer Wind fegte durch den Tempel und spielte mit den Spalten und Ritzen im Gemäuer, als seien es die Pfeifen einer Orgel. Die steinernen Fratzen längst vergessener Ungeheuer ächzten und knirschten, als wollten sie der Elfe bittergalligen Trost spenden, indem sie sagten: Das ist uns allen passiert.
Mein allererster Wettbewerbsbeitrag :) für den Fantasy-Geschichtenwettbewerb des Fantasyschreibzirkels. Der erste und letzte Satz waren gegeben.
© 2014 - 2024 Kite-7
Comments14
Join the community to add your comment. Already a deviant? Log In
schwarzeMoewe's avatar
Uh, die Geschichte war toll! Ich bin nicht auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei Attinkas Begleiter und den Erzähler um den versteinerten Drachen handelt. Dass er sie auch noch verrät, macht das Ganze noch interessanter. Ich kann ihm wegen des Betrugs nicht einmal wirklich böse sein. Wer weiß, wie lange er da schon gefangen war?

Das einzige, das mich ein wenig gestört hat, ist die Einbindung des ersten Satzes. Er passt einwandfrei in die Situation, aber irgendwie wirkt er trotzdem … einsam. Also … auffällig. Ich weiß nicht genau, wie ich es ausdrücken soll. Vielleicht fehlt danach ein „Ich konnte es in ihren Augen sehen“ oder etwas Vergleichbares. Definitiv Geschmackssache. Dagegen ist der letzte Satz rund eingebettet. Ich frage mich, wer oder was all die anderen versteinert hat … Aber so eine Geschichte muss eben ein paar Fragen offen lassen. :)